Es ist Oktober 2019.
Ich sitze in der Praxis einer Kollegin; Astrologin wie ich auch. Im Unterschied zu mir ist diese Kollegin Spezialistin für Astromedizin.
Ich befinde mich mitten in einer Brustkrebsbehandlung zwischen Chemotherapie und Bestrahlung.
Im Dezember 2018 habe ich ein Gebilde in meiner linken Brust ertastet, das dort eindeutig nichts zu suchen hat. Auf diesen Augenblick habe ich ein Horoskop erstellt, das mich seither nicht losgelassen hat. Es ist ein Horoskop, das sehr klar von Tod und Wandlung erzählt.
Wenn der Verdacht auf Krebs im Raum steht, bekommen diese Symbole eines Horoskops mitunter eine sehr buchstäbliche Bedeutung. Zumindest für mich ist das so. Ich habe Angst. Angst, dass nicht nur symbolisch etwas sterben muss, sondern ganz konkret ich.
Es ist Zeit ins Land gegangen. Der Krebs war ganz und gar nicht harmlos, aber meine Chancen stehen ganz gut, dass ich ihn dauerhaft überlebe.
Und doch habe ich immer wieder das Horoskop seiner Entdeckung vor Augen.
Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mich an eine Kollegin zu wenden, die sich mit Astromedizin auskennt. Mal sehen, was sie erkennen kann.
Worauf sie mich dann hinweist ist etwas, das ich zunächst gar nicht in Betracht gezogen, das mir gar nicht besonders aufgefallen ist.
Lilith befindet sich zu diesem Zeitpunkt in exakter Konjunktion zu meiner Venus im Wassermann.
Mit Venus im Wassermann habe ich nie eine besonders konventionelle Form von Weiblichkeit gelebt. Kinder wollte ich nie und meine Liebespartner und Liebespartnerinnen waren allesamt sehr freie und besondere Menschen.
An diesem Tag in der Praxis meiner Kollegin spüre ich, dass der Ruf nach Freiheit und nach meiner ganz eigenen Form von Weiblichkeit und Autonomie noch viel tiefer geht, als ich es mir bisher überhaupt vorstellen konnte.
Ich bin zutiefst bewegt.
Wie konnte ich Lilith übersehen? Und was bedeutet es in meiner jetzigen Situation, ihrem wassermännischen Ruf zu folgen?
Wer ist diese Lilith, die mich wie kaum ein anderes Element in der Astrologie berührt und angeht?
Und nicht nur mich.
Die regelmäßigen Lilith-Seminare, die ich anbiete, sind jedes Mal ausgebucht.
Kaum erzähle ich irgendwo und irgendwem von Lilith, werden Augen und Ohren groß.
Da ist Neugier, da ist Interesse, da ist Sehnsucht.
(Über 99% meiner Kundschaft ist weiblich. Ich bitte, mir nachzusehen, dass ich mich aus diesem Grund in meinen Ausführungen auf Frauen und Lilith beschränke.)
Die Lilith, mit der ich arbeite, ist einer der sensitiven Punkte in der Astrologie.
Vereinfacht ausgedrückt: Der Mond läuft ellipsenförmig um die Erde. Eine Ellipse hat zwei Brennpunkte. Den einen bildet die Erde, den zweiten eben Lilith.
Wir kennen in dem Zusammenspiel zwischen Erde und Mond darüber hinaus noch die Mondknoten als ebenfalls sensitive Punkte.
Wie diese Mondknoten, so hat auch Lilith einen Rhythmus, mit dem sie durch den Tierkreis wandert.
Ein Lilith-Umlauf dauert ca 8 Jahre und 10 Monate. Das bedeutet, dass Lilith sich etwa 9 Monate in einem Zeichen aufhält.
Damit symbolisiert Lilith als einziger Punkt einen ganz und gar weiblichen Zyklus, nämlich den der Schwangerschaft.
Vielleicht macht das ihren Reiz aus?
Sicher ist es aber auch der Mythos Lilith, der fasziniert.
Den sehr spärlichen Quellen zufolge, war Lilith die erste Frau von Adam. Sie war als eigenständiges Wesen geschaffen worden und nicht aus seiner Rippe und hat im Zusammenleben auf Augenhöhe und Gleichberechtigung bestanden.
Es heißt, dass sie beim Sex nicht unten liegen wollte. Als Adam auf Unterordnung bestand, ist sie aus dem Paradies fort gegangen.
Dieses Bestehen auf Autonomie ist für die meisten Frauen ein außerordentlich wichtiger Punkt.
Weiterhin erzählt der Mythos, dass Lilith Gott selbst Widerworte gab und damit einen ungeheuren Tabubruch beging.
Lilith ist nicht ins Paradies zurück gegangen, sondern in die Wüste geflohen.
Insofern erzählt Lilith im Horoskop von Autonomie und dem Preis, den wir zahlen, wenn wir kompromisslos unseren Weg gehen.
Ich gehe mittlerweile so weit zu sagen: Lilith im Horoskop ist unser Schlüssel zur Ganzheit.
Wenn wir dem Ruf unserer Lilith folgen, überwinden wir die Welt der Gegensätze.
Lilith ist die Göttin des Lebens UND des Todes. Sie ist Mutter UND Kriegerin zugleich, Liebende UND Wütende.
Dieses Bewusstsein vom UND, von der Verbindung aller Erscheinungsformen brauchen wir dringlich zurück.
Ebenso das Wissen um Zyklen und die Zeit, die reif ist, wenn sie eben reif ist.
Wie viele andere Menschen habe auch ich mich so lange verrückt gemacht mit einem Rhythmus, der gar nicht meiner ist. Immer getrieben wollte ich Dinge, Projekte und später auch meine Selbständigkeit forcieren auf Biegen und Brechen.
Dabei bin ich an sich eine, die sehr viel unverplante Zeit braucht. Um Tee zu trinken zum Beispiel oder dem Tag beim Dunkel Werden zu zu schauen.
Alle kreativ Arbeitenden kennen das. Woher soll sonst die Inspiration kommen?
„Als Selbständige musst du eben stets und ständig arbeiten.“ Das habe ich nie geglaubt. Trotzdem habe auch ich meiner Intuition viel zu oft missachtet, wenn sie sich regte und um Muße bat.
Es braucht viel Achtsamkeit und Mut, um nicht immer wieder ins dieses Muster von Getrieben Sein und obsessivem Machen hinein zu fallen.
Achtsamkeit, um den eigenen Rhythmus zu entdecken. Wohlgemerkt, einen vitalen und lebendigen Rhythmus, in dem wir uns wohl fühlen.
Mut, weil es eben Mut braucht, entgegen omnipräsenter Leistungs- und Erfolgsvorstellungen darauf zu vertrauen, dass mein, dein, unser jeweils eigener Rhythmus uns ganz sicher zu unseren Zielen führt.
Lilith ist Meisterin, wenn es um den eigenen Weg geht. Sie ist nichts als ihrer eigenen Wahrheit verpflichtet und schert sich nicht um Konventionen und Gefälligkeiten.
Und so wird sie zur wichtigen Wegweiserin für Frauen, die immer noch mehr oder auch erstmalig ihre wilde Weiblichkeit und ihren eigenen unabhängigen Weg gehen wollen.
Freche, frische, wilde Weiber jeden Alters eben.
Nachdenklich und im Innersten berührt verlasse ich an diesem Oktobertag die Praxis meiner Kollegin.
Ich spüre, was Lilith mir sagen will. Ich spüre es schon länger, will es aber einfach nicht hören.
Es ist an der Zeit, mich aus der Beziehung zu lösen, in der ich bin.
Diese innere Stimme – die Intuition – habe ich immer wieder mit scheinbarer Vernunft zugedeckt.
Jetzt ist es mit dem Verdrängen vorbei.
Ich sehe Lilith, wie sie sich mit meiner Venus im Wassermann zu einem mächtigen Ruf nach Unabhängigkeit vereint.
Ich habe Angst. UND ich bin bereit, bereit zu werden. „Okay, Lilith“, sage ich. „Das schaffe ich nicht von heute auf morgen. Aber das verlangt ja auch niemand.“
Die Luft schmeckt nach Freiheit und Abenteuer.